Lehmhaus Retzbach | 2020

Ein altes Lehmhaus aus dem 19. Jahrhundert mit massiven Wänden in einer „gsatzen Lehmbauweise“ wurde über viele Jahre von einer besonnenen und verantwortungsvollen Besitzerin mit Bedacht instandgehalten. Sie hat darauf geachtet, daß kein Wasser in die Substanz eindringt, und sie hat jede Art von „moderner“ Sanierung unter Verwendung von synthetischen Baustoffen vermieden. Sie wollte ihr Haus in jeder Beziehung in seiner Ursprünglichkeit erhalten.

Die neuen Besitzer wollten es transformieren, es für zeitgemäße Ansprüche des Wohnens anpassen. Was bleibt  ist der Respekt vor diesem alten Lehmhaus, der Respekt vor der Qualität dieser Bausubstanz, die glücklicherweise nie durch unsachgemäße Renovierung zerstört wurde. Die Transformation ist ein bedachtsamer Eingriff in die Lichtsituation des Hauses, indem kleine Fenster zu Terrassentüren umgebaut werden, und neue Raumverbände durch zusätzliche Öffnungen und mit einem Holzzubau entstehen können.

Bauherrenschaft

Privat

Mitarbeit

DDI Edith Schroll und Florian Kolar BSc.

Foto

Romana Fürnkranz

Planung

2018/2019

Ausführung

2019/2020

Statik

Zehetgruber-Laister ZT GmbH, Zwettl

 

Beim Betreten des schmalen Hofes erkennt man die behutsame Transformation dieses historischen Hofes in ein zeitgemäß nutzbares Wohnhaus. Die Geschichte ist allgegenwärtig. Ablesbar am alten zerfurchten Putz, an der alten Biberschwanzdeckung und auch an alten Kastenfenstern, die im Hof zum Teil belassen werden.
 

Im Inneren des Hauses bleiben Böden und schöne alte Holzbalkendecken mit überlappender Schalung in den früheren Wohnräumen erhalten. Dazwischen verwoben werden behutsam neue Wohnelemente, wie Sanitärräume, neu gestaltete Holztrennwände und neue Öffnungen nach aussen, die mehr Licht und Sonne in den Raum eindringen lassen.

Die Materialauswahl und Materialbeschaffenheit wird vom historischen Bestand bestimmt. Holz, Lehm und Kalk werden bei den neuen Gestaltungselementen verwendet – und sie werden unbehandelt eingesetzt, um die Diffusionsoffenheit sowie die Feuchtigkeitsregulierung nicht einzuschränken. Holz und Lehm können hier ihre Vorteile und Stärken voll ausspielen, und den neuen Bewohnern ein gesundes und emissionsfreies Raumklima bieten.

Transformation von Altbestand unter Berücksichtigung seiner Ressourcen und Vorteile ist der wohl spannendste Aspekt bei der Nutzung von Bestandsbauten – einem zentralen Zukunftsaspekt im Bereich der Architektur. So kann man aus einem alten Hof, der in bitterer Armut mit „primitivsten“ Mitteln – nämlich jene, die am eigenen Grund vorhanden waren – entstanden ist, ein Haus entwickeln, das ich als neuen Luxus bezeichnen möchte – nämlich ökologisch, gesund, körperverträglich und sinnlich.

Dem Lehm aus dem eigenen Grund vermischt mit Strohhäcksel, Zweigen, Steinen und Tierexkrementen wird ädaquat sägeraues unbehandeltes Schnittholz und Lehm aus dem eigenen bzw. regionalen Boden hinzugefügt.

Dieses Haus ist völlig chemie- und emissionsfrei, da es ohne synthetische Baustoffe auskommt.

Die Formensprache ist neu, aber im Maßstab den umliegenden Bildern und Geschichten angepasst.

Die alten desolaten Werkstatträume und Lager wurden ausser der 60 cm dicken Lehmmauern abgetragen und gegen einen neuen Holzzubau mit offenem Dachraum und herrlichen Blicken in die Weinberge ergänzt. Da das langgestreckte Dach auch über diesen Teil mit seiner alten Deckung reicht, wirkt dieser Anbau wie hineingewoben.

Ein freistehendes früheres Zugehhaus im hinteren Teil des Hofes wird in eine offene überdachte Terrasse verwandelt. Dach und Wände bleiben, und bekommen neue Öffnungen, die Blicke in die hügelige Weinlandschaft inszenieren. Dieser Terrassenraum steht in unmittebarer Verbindung mit dem Haus. Egal ob heiss, ob regnerisch, ob windig lädt das Sommerwohnzimmer zum Verweilen ein. In der Übergangszeit oder an kühlen Abenden sorgt ein Holzofen für wohlige Wärme.